Der Alltag in der Pflege ist in der heutigen Zeit immer stärker vom zunehmenden Fachkräftemangel geprägt. Das Personal in den Einrichtungen und Pflegediensten arbeitet nicht selten am Limit. Immer öfter müssen so auch qualitative Abstriche gemacht werden, immer weniger Zeit bleibt für den persönlichen Kontakt und die individuelle Betreuung des Einzelnen.
Auch entstehen immer häufiger Versorgungsengpässe, besonders im ländlichen Raum. So kann es zu Wartezeiten bei Plätzen für Tagespflege, in Heimen und anderen Angeboten kommen. Hinzu kommt, dass viele hilfebedürftige Menschen und ihre Angehörigen sich somit oft für die erstverfügbare und nicht individuell passendste Lösung entscheiden müssen.
Die Träger und Betreiber von Einrichtungen und Diensten suchen händeringend sowohl nach akuten Linderungen wie auch langfristigen Lösungen für diese Problematik. Auch die Politik ist längst auf den Plan gerufen, handelt es sich doch mittlerweile um ein landesweites Problem.
Auch die Region Oberbayern bleibt von diesen Entwicklungen nicht verschont, auch wenn der Bezirk mit verschiedenen Mitteln gegensteuert.
Der Bezirk Oberbayern ist gleichzeitig Betroffener wie auch Treiber des Wandels: als Betreiber verschiedener Kliniken und Dienste zur Diagnostik und Therapie seelischer Erkrankungen über das Kommunalunternehmen Kliniken des Bezirks Oberbayern (kbo), als auch überregionaler Träger der Sozialhilfe.
Zum einen ist der Bezirk somit vom Fachkräftemangel direkt betroffen, zum anderen kann er aber auch die Rahmenbedingungen aktiv mitgestalten und für Verbesserungen der Gesamtsituation sorgen.

Bekannte Lösungen ausgereizt

Die traditionell verfolgten Lösungsansätze sind vor allem das Halten des Bestandspersonals sowie das gezielte Ausbilden und Anwerben von neuen Fachkräften.
Bereits jetzt versuchen viele Einrichtungen und Unternehmen Fachkräften finanzielle und materielle Anreize zu bieten, um ihren Beruf nicht aufzugeben bzw. junge Menschen für eine Ausbildung im Bereich Gesundheit und Pflege zu gewinnen.
Typische Beispiele sind hierfür übertarifliche Bezahlung, betriebliches Wohnen oder Wohnungsvermittlungen, Mobilitätslösungen wie Jobtickets und Dienstfahrzeuge und -Fahrräder, außerdem kostenfreie oder ermäßigte Verpflegung.
Nicht selten wird auch an alternativen und attraktiveren Arbeitszeitmodellen gefeilt, die trotz des stressigen und fordernden Berufsalltags für eine gesunde Work-Life-Balance sorgen sollen.
Auch werden richtigerweise gezielt fertig ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland angeworben, um für schnelle Entlastung zu sorgen.
Zusätzlich wird versucht Abläufe und Versorgungsmodelle effizienter zu gestalten.
Aber die bekannten Lösungsansätze stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Alternativen werden dringender denn je benötigt!

Robotik und KI als Entlastung

So gilt es über den Tellerrand hinauszuschauen und neue Wege zu beschreiten, um die Versorgungssicherheit langfristig zu gewährleisten.
Lösungsansätze können unter anderem Robotik und künstliche Intelligenz sein. Bereits in vielen Branchen sind sie fester Bestandteil oder werden in einigen Teilbereichen integriert.
Auch in der Gesundheit und Pflege kann ihr Einsatz für vielversprechende Entlastung sorgen. Digitalisierung, Innovation und Technologie müssen somit als ein valides Mittel zur Linderung des Fachkräftemangels verstanden werden.
Die Digitalisierung erhält bereits jetzt Einzug in viele Bereiche der Pflege, jedoch muss sie schneller vorangetrieben werden, um Bürokratie abzubauen und das Personal in Einrichtungen und Diensten zu entlasten.
Beispiele hierfür sind digitale Patientenakten und interne Dokumentation, wie Berichte und Protokolle, sowie elektronische Kommunikation mit Behörden und Angehörigen. Zu viel Zeit geht durch das schriftliche Anfertigen, Administrieren, Senden und Empfangen von Dokumenten verloren, die anschließend auch noch physisch verwaltet und manuell digitalisiert werden müssen.
Bereits heute stehen technologische Lösungen zur Verfügung, die hier Abhilfe schaffen können. So könnten durch Einsatz von Sprachverarbeitungssoftware Berichte und Diagnosen diktiert und automatisiert in Textdateien umgewandelt werden. Durch intelligent programmierte digitale Werkzeuge kann anschließend auch die Sortierung, Speicherung und Archivierung automatisiert erfolgen.
Auch andere administrative Aufgaben, wie das zeitaufwändige Erstellen von Schichtplänen, Erinnerungen für die Gabe von Medikamenten, Essenswünschen kann bereits automatisiert und digital realisiert werden.
Digitalisierung betrifft aber auch die Einrichtungen selbst. So können die Gebäude technologisch umgerüstet werden, um analog zum Smart-Home in den Zimmern der Pflegebedürftigen beispielsweise das Licht, Jalousien, Lüftung, Fernseher, Getränkespender, usw. zu betätigen, ohne für jede Anpassung das entsprechende Zimmer aufsuchen zu müssen.
Im Zusammenspiel mit künstlicher Intelligenz können so auch Lernprozesse entstehen und die eingesetzte Software sich auf Routinen des Personals, der Abläufe und den individuellen Bedürfnissen der Pflegebedürftigen einstellen.
In der ambulanten Versorgung und häuslichen Pflege ist Digitalisierung ein wichtiger Baustein für den Ausbau der Telemedizin, welche die Versorgungsengpässe im ländlichen Raum mildern kann.
Aber auch der Einsatz von Robotik ist ein sinnvolles Mittel gegen Versorgungsengpässe. Vor allem körperlich anspruchsvolle Routineaufgaben des Personals können relativ einfach von Robotern ausgeführt werden, insbesondere im Hinblick auf fachfremde Aufgaben, die Pflegekräfte oft mit übernehmen müssen.
So können Versorgungsroboter beispielsweise autonom durch die Gänge einer Einrichtung navigieren und Verpflegung, Medikamente, Materialien oder Patienten in Rollstühlen von A nach B transportieren.
Aber auch bei anderen Aufgaben, wie der Zubereitung der Mahlzeiten oder der Reinigung können Roboter unterstützend eingesetzt werden. Die notwendigen Technologien hierfür sind bereits entwickelt und erprobt.
Auch für essentielle Tätigkeiten der Betreuung und Pflege selbst kann Robotik gepaart mit künstlicher Intelligenz neue Möglichkeiten eröffnen. Hierfür müssen technische Lösungen speziell für diese Branche (weiter-)entwickelt werden.
Roboter können so beispielsweise in der Betreuung Gesellschaftsspiele spielen oder Gymnastikübungen anleiten, aber auch Geschichten erzählen, Unterhaltungen führen oder Musik abspielen, sowie auch Medikamente verabreichen. Gleichzeitig können sie als Kommunikationsmittel mit Angehörigen und Pflegediensten eingesetzt werden.
Künstliche Intelligenz bringt aber auch weitere Chancen in der Pflege. Patienten könnten gezielt beaufsichtigt werden und die Softwarebedürfnisse oder Verhaltensauffälligkeiten der Pflegebedürftigen erkennen und melden. Berichte des Pflegepersonals können analysiert und ausgewertet werden. So könnten langfristig sogar einfachere Diagnosen von künstlicher Intelligenz erstellt werden.
Digitalisierung, Robotik und künstliche Intelligenz bringen neben herausragenden Möglichkeiten aber auch Risiken und ethische Fragestellungen mit sich. Daher ist es wichtig, dass der Einsatz dieser und neuerer Technologien kontrolliert und reguliert erfolgt.
In der Wissenschaft hat der Einsatz von zukunftsweisenden Technologien in der Pflege längst Einzug erhalten und stellt eine eigene wissenschaftliche Disziplin dar, die Geriatronik. Ziel ist es Einsatzmöglichkeiten für Robotik und künstliche Intelligenz in der Pflege zu eruieren und wissenschaftlich fundiert zu erproben und bewerten, auch in Hinblick auf ethische Bedenken.
Eine der führenden Universitäten in diesem Bereich ist die Technische Hochschule München (TUM), die neben dem geschaffenen eigenen Lehrstuhl auch bereits einen eigenen Campus für Forschung und Anwendung neuer Technologien in der Pflege einrichtet.
So liegt es nahe, dass auch der Bezirk Oberbayern eine Vorreiterrolle in diesem Bereich einnehmen sollte. Kooperationen mit Hochschulinstituten, Berufsfachschulen und Einrichtungen für gemeinsame Modellprojekte für den Praxiseinsatz von Robotik und künstlicher Intelligenz können Oberbayern auch in diesem Bereich zu einer Modellregion für Deutschland und Europa werden lassen.
Dadurch können zielgerichtete Innovationen den pflegebedürftigen Menschen, ihren Angehörigen und dem Pflegepersonal in Oberbayern schneller zugutekommen und die Träger und Betreiber von Einrichtungen und Diensten auch von Fördergeldern profitieren, welche die notwendigen finanziellen Investitionen leichter stemmbar machen.
Aber wichtig ist vor allem eines: Technologie im Gesundheits- und Pflegesektor ersetzt nicht die menschlichen Fachkräfte. Der Schlüssel zum Erfolg liegt vielmehr im optimalen Zusammenspiel von Mensch und Technik.
Denn nur wenn Digitalisierung, Robotik und künstliche Intelligenz eine effektive Unterstützung für die Fachkräfte darstellen und diese in ihrem Berufsalltag spürbar entlasten, ist das eigentliche Ziel erreicht: den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen, sprich dem Personal Freiraum für die individuelle Betreuung der Pflegebedürftigen zu geben.

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